3. Das unsichtbare Gewicht des Überflusses: Wenn Wohlstand zur Last wird.

Anna sitzt am Pool ihres Elternhauses, das in einer der exklusivsten Wohngegenden liegt. Während das Wasser im Sonnenlicht glitzert und Vögel singen, fühlt sie vor allem eines: Einsamkeit. Ihr Handy blinkt – eine neue Einladung zu einer Party, ein Schnappschuss vom Familienurlaub auf den Malediven. Nach außen wirkt Annas Leben wie aus einem perfekten Katalog. Aber in ihrem Inneren tobt ein Sturm.

Viele Jugendliche wie Anna wachsen mit scheinbar grenzenlosen Möglichkeiten auf. Materielle Sorgen kennen sie kaum. Doch gerade dieses Privileg kann zur Stolperfalle werden. Sie fühlen sich, als würden sie auf gläsernem Boden stehen: Es glänzt, es sieht makellos aus – doch darunter lauern Unsicherheit, Zweifel und manchmal eine Erschöpfung, die schwer zu erklären ist. Warum eigentlich?

Übersehene Einsamkeit hinter glitzernden Fassaden

Oft sind die Eltern beruflich erfolgreich, aber emotional abwesend. Gespräche drehen sich mehr um Noten und Erfolge als um echte Gefühle. Das Haus mag voll sein, aber wirklich zu Hause fühlt man sich kaum. Anna erinnert sich, wie sie als Kind ihr Lieblingsbild malte und ihren Eltern zeigte – aber deren Blick war schon wieder auf den nächsten Termin gerichtet. Die Mauern wurden höher, das Schweigen lauter.

Diese Themen berühren nicht nur Einzelne – sie zeigen, wie sehr emotionale Gesundheit in unserer Leistungsgesellschaft zu einer versteckten Ressource geworden ist. Forscherinnen wie Dr. Suniya Luthar sagen: Gerade Kinder aus wohlhabenden Familien berichten überdurchschnittlich oft von Depressionen, Ängsten und der Angst, Erwartungen nicht zu genügen. Die scheinbar perfekte Welt trägt oft eine unsichtbare Zwischenschicht: zu viel Sicherheit, zu viel Kontrolle, zu wenig Kontakt mit dem echten Leben. Wer alles hat, lebt manchmal in einem emotionalen Vakuum.

Die Suche nach Sinn inmitten von Fülle

Je mehr Anna bekam, desto weniger wusste sie, was sie wirklich wollte. Jede Möglichkeit blieb theoretisch, weil der eigene Wunsch nicht mehr spürbar war. Die Angst, das “Falsche” aus dem Überangebot auszuwählen, lähmte sie. Und weil niemand in ihrem Umfeld offen über Zweifel oder Traurigkeit sprach – schließlich hatte man alles, was man “braucht” –, wurde Annas Leid unsichtbar. Eigene Schwäche fühlte sich an wie Undankbarkeit.

Tatsächlich zeigen Studien, dass Jugendliche wie Anna selten lernen, Scheitern als Chance zu sehen. Fehler werden – auch gut gemeint – schnell wegerklärt oder “gelöst”, echte Krisen eingedämmt. So bleibt ihnen das wichtigste Werkstück des Lebens verwehrt: eine stabile innere Heimat, eine Quelle von Selbstvertrauen und Selbstliebe.

Was können wir tun? Wege aus der Falle des Überflusses

Es beginnt damit, dass wir anerkennen: Auch wer scheinbar alles hat, kann tief unglücklich sein. Es braucht echte Gespräche statt Small Talk, neugierige Fragen statt schneller Ratschläge. Eltern können lernen, Streiflichter auf das Innenleben ihrer Kinder zu werfen – und eigene Schwäche ehrlich zu zeigen, statt nur Erfolg zu modellieren.

Das zentrale Geschenk, das Eltern und Freunde geben können, ist das Erleben von wirklicher Selbstliebe: Die Erfahrung, wertvoll zu sein, einfach so – unabhängig von Leistung oder materiellem Status. Das bedeutet, Fehler nicht zu dramatisieren, sondern als Teil des Weges anzunehmen. Es geht darum, Selbstzweifel in Worte fassen zu dürfen und darin gehalten zu werden.

Ein wichtiger Ausweg ist die bewusste Entwicklung eigener Leidenschaften und Perspektiven jenseits dessen, was “erwartet” wird. Anna entdeckte für sich die Musik. Zuerst heimlich, weil sie Angst hatte, zu scheitern. Doch mit der Zeit spürte sie, wie sie ihre eigenen Töne fand – leise, unsicher, aber echt. Das half ihr, wieder zu fühlen: Da ist etwas in mir, das zählt.

Der erste Schritt: Mitgefühl statt Perfektion

Selbstliebe ist kein Luxus der wenigen, sondern der Rettungsanker für alle – besonders in einer Welt, die Erfolg über alles stellt. Vielleicht beginnt Veränderung genau da, wo wir uns gegenseitig Raum geben, unperfekt zu sein. Wo echte Nähe wichtiger wird als der Schein, “alles im Griff” zu haben. Und wo das größte Geschenk nicht im Wert eines Geschenks liegt, sondern darin, sich selbst wiederzufinden.

So kann der Überfluss, der erdrückte, langsam zum Nährboden werden – für echte Beziehungen, für Kreativität, für ein Leben, das von innen nach außen leuchtet.

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4. Die Suche im Außen – Der Weg, der nie ankommt.

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2. Zwischen Abschied und Aufbruch.